Heute spreche ich in Erfurt vor knapp 100 Profis für Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche. Eingeladen wurde ich aufgrund dieses Artikels, der vor knapp einem Jahr in ZEIT Christ & Welt erschienen ist. Darin behaupte ich, dass die Kirche die Digitalisierung verpennt und stelle ein paar Thesen auf.
Ein kleiner Auszug:
Mit der Digitalisierung verschwindet die Trennung zwischen Sendern und Empfängern. Es geht – anders als seit dem Buchdruck – nicht mehr um Vervielfältigung, sondern um Vielfalt, Solidarität und Koalitionen. Die Digitalisierung verrät etwas über die kommende Welt, in der wir bald leben werden (sie wird mMn etwa postkonfessionell sein). Die Digitalisierung ist kein politisches System, keine Theologie, in der es sich leben lässt. Wir müssen also deuten und sie als Plattform und medialen Ausdruck der Zukunft begreifen
In meinem Vortrag kommen neben allerhand Gifs auch einige Verweise vor. Zur Dokumentation und zum Mitschreiben sammle ich diese zudem hier. Denn es ist einiges auf diesem Feld geschehen – nicht erst, seit ich darüber geschrieben habe.
Vor meinem Vortrag habe ich, wie es meine Angewohnheit ist, Twitter befragt, was ich meinen Zuhörer_innen ausrichten soll. Die Antworten findet ihr unter diesem Tweet:
Am Montag darf ich vor knapp 100 Profis was zu #digitaleKirche sagen. Soll ich was von euch ausrichten? #netzwerkoe18
— Hannes Leitlein (@hannesleitlein) 22. Februar 2018
Vier Fragen, die sich mir seit meinem Text aufdrängen:
Was machen wir da eigentlich?
Viele denken noch immer: Wir müssten jetzt langsam mal eine Facebook-Seite für unsere Kirchengemeinde einrichten, um dann ein paar Monate später festzustellen, dass das nicht das richtige war. Vor jeder Auseinandersetzung mit dem Digital sollte also die Frage stehen: Was machen wir bisher gut, was macht uns aus und wie lässt sich das übersetzen in die digitalisierte Welt?
Müssen wir alles selbermachen?
Der Godspot ist ein Erfolgsprojekt, keine Frage. Das freie WLAN in Berliner Kirchen inzwischen ein Aushängeschild. Aber es bleibt die Frage: Warum alles selber machen? Warum nicht einfach mit anderen vernetzen – zum Beispiel Freifunk?
Das gleiche gilt für das – sorry – irre Wagnis der Ekbo, einen eigenen Messenger zu entwickeln und fortan WhatsApp Konkurrenz machen zu wollen. Echt jetzt? Das ist pure Kirchensteuerverschwendung. Wie wäre es, wenn die Kirchen stattdessen für Threema werben und diesem super Spartenprodukt zu mehr Nutzer_innen verhülfen?
Lassen sich BedEnken vertagen?
Nicht FDP, aber die Freiheit eines Christenmenschen. In Sachen Digitalisierung fehlt es an ordentlich Wagemut. Mal angenommen, das Netz ist wirklich Neuland, warum dann nicht mit dem Hebräerbrief im Rücken aufmachen?
»Wie kam es, dass Abraham dem Ruf Gottes gehorchte, seine Heimat verließ und an einen Ort zog, der ´nach Gottes Zusage` einmal sein Erbbesitz sein würde? Warum machte er sich auf den Weg, obwohl er nicht wusste, wohin er kommen würde? Der Grund dafür war sein Glaube.« – Hebräer 11,8
It’s Politics, Stupid!
Keine Frage: Die Kirchen müssen sich auch im Netz für Barrierefreiheit einsetzen, für Datenschutz, Datengleichheit. Und sie werden dort auch ihren alten Problemen wieder begegnen: Wo ist die Vielfalt? Wo sind die Menschen, denen das Evangelium zuerst gehört, die Witwen und Waisen, die Armen und Entrechteten? Wo ist ihr Raum im Digitalen? Und auch dieser Frage müssen sich die Kirchen noch entschiedener annehmen: Wo sind die Frauen? (Das Podium dieser Konferenz ist ausschließlich mit Männern besetzt)
Vier Ideen
Eine Erwartung an meinen Vortrag war auch, dass ich formuliere, was ich von der Kirche erwarte. Neben der bereits genannten theologischen Hilfestellung zum Leben habe ich vier Ideen vorgestellt:
1. Social Media-Team
Die BVG hat eines, die Post, die Bahn – die Kirche sollte eines haben. Ein Team, dass sich um die Menschen im Netz kümmert, denen die Hoffnung fehlt, oder die sich fragen, warum sie noch in der Kirche sind. Wann findet ein Gottesdienst in meiner Nähe statt? Wann sollte ich mein Kind taufen lassen und was heißt das überhaupt? Es gibt Tausend Fragen und Betätigungsfelder für ein solches Team. Und, dass es auch bei der BVG nicht nur um lustige Memes geht, zeigen die Replies bei Twitter.
2. 1 Gott, 1 Bus, 1 Team & 1 Blog
Ein Auto?, fragen jetzt sicher alle, die mich ein wenig näher kennen. Ja. Und ein Team, das mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet durch die Welt tourt, um all die schönen Geschichten aufzugreifen, die in und um Kirchen passieren, nur, um der ganzen Welt zu erzählen, was und wer in Gemeinden alles passiert. Ich würde mich freiwillig melden.
3. Lehrstühle
Das Digital muss dringend erkundet und gedeutet werden. Gott ist schon da, die Menschen sind da – wann ziehen die Universitäten und Kirchenämter nach? Es finden nun zwar eine Reihe Tagungen und Konferenzen zum Thema statt, aber es wäre doch an der Zeit, hier ordentlich und kontinuierlich zu forschen, zu lehren, zu prüfen und sein zu lassen
4. Ein Startup
Und damit die Digitalisierung nicht noch Jahrzehnte in der Behörde rumliegt und mit Laufzetteln von Schreibtisch zu Schreibtisch geschoben wird: Gründet ein Startup! In einem Loft in Kreuzberg, mit Tischkicker, Espressomaschine, Fahrradständern vor der Tür – und vor allem: ausreichend Geld von Mutter Kirche. Oder um es anders zu sagen: Gründet einen verlorenen Sohn, auf dass wir alle aus seinen Fehlern lernen und hoffen können, dass er eines Tages zurückkehrt und wir ein Fest feiern können.
Zugabe
Und, weil dafür in meinen 20 Minuten keine Zeit mehr war, hier eine kleine Zugabe, was uns so in den nächsten Jahren erwarten könnte:
Geertje Wallasch sagte am 26. Februar 2018
Das war spannend zu lesen. Es gibt noch einiges zu tun 😉
Herzliche Grüße
Geertje
https://www.wandelsinn.de/mit-kirche-analog-und-digital-unterwegs/
hannesleitlein sagte am 27. Februar 2018
Danke, Geertje!
Ines C. sagte am 27. Februar 2018
Die Trennung von Sendern und Empfängern ist bei uns schon seit schlappen 2000 Jahren aufgehoben – wir nennen das Pfingsten.
Aber wenn Mann wie hier Kirche nur als Institution denkt, kommt man halt auch digital nicht zum Ziel.
Ich kenne unzählige „Kirche“, die im Netz sind und Jesus- Nachfolge posten, bloggen, pinteresten, snapchatten naja und manchmal auch sowas Altmodisches wie facebooken. Das Berliner Startup gibts auch schon länger: nennt sich Berlin Project.
Und ohne Frauen auf dem Podium hatte diese Session so gar nix mit „Kirche“ zu tun, die besteht unter den Aktiven nämlich zu gefühlten 95% aus Frauen.
Da müssen die Veranstalter wohl noch die eine oder andere Nachhilfe-Sitzung absolvieren.
Aber Ihr Artikel war knorke, keine Frage.
Pingback: Keynote Jahrestagung Öffentlichkeitsarbeit | Harald Schirmer
De Benny sagte am 12. März 2018
Oder wieso nicht gleich prosody (oder nen anderen XMPP Server)?
Kann man mit seinen kirchenfernen Kumpels auch kommunizieren, ohne daß die den Kirchenserver nutzen müssen. Außerdem Open Source…
Das einzige, was für Threema spricht, ist soweit ich das sehe die Ende zu Ende Verschlüsselung. Sollte mit offenen Protokollen auch gehen…
Im Zweifel muß der Raum erst geschaffen werden. Ich denk grad dran, daß evangelisch.de mal ne Community hatte…
Aber man findet auch Viele bei den gängigen Sozialmedien. Nur: Was will man mit denen kommunizieren?
Es ist das alte Problem: Wöchentlich nen Newsletter mit Predigt wird ebenso wenig einschlagen wie den Sonntagsgottesdienst einfach abzuarbeiten. Gemeinschaft muß gestaltet werden.
Da sehe ich große Probleme des Nichtssagens, wenn diese Fragen von zentralen Teams bei der EKD oder den Landeskirchenämtern beantwortet werden sollen. Es kommt ja immer auf die jeweilige Situation an. Also entweder ein langes, intensives Gespräch mit den Fragenden, was viel Zeit (und heute muß man ja auch sagen: Geld) kosten wird – und das muß man beides wollen, oder eine one-size-fits-all Standardantwort, wie man sie schon auf vielen Kirchenseiten findet, die zu keinem konkreten Fall so richtig passt.
Ich befürchte, sowas wäre zum Scheitern verurteilt. Weil immer Zielvorgaben gemacht werden, die irgendwo aus der Tiefe der Verwaltung kommen, und die die wirkliche Kreativität der Schaffenden einengen wird, so daß nix wirklich Interessantes rauskommt.
Sowas muß eher von der Basis kommen. Neue Ideen, frei umgesetzt und spendenfinanziert. Insofern wär die digitale Kirche sehr nah an Freikirche und sehr fern von Amtskirche.
Die Amtskirchen könnten in nem zweiten Schritt das dann kopieren, da sähe ich mehr Potential.
Also vielleicht erst mal schauen, was es an Startups schon gibt und was es sich zu kopieren lohnt?
Das Video ist interessant. Allerdings hab ich ein schlechtes Gefühl dabei, wenn Kirche sich der Marktlogik im Digitalen anpasst, a la Catholicism Level 1. Hier wär wohl ne Backupstation für diese ominösen Punkte angebrachter….